
Autor: René Marx – Praxis für Psychotherapie & Hypnose, Düsseldorf
Die Therapie von Alkoholabhängigkeit ist kein Spaziergang. Sie verlangt nicht nur dem Betroffenen viel ab, sondern auch seinem Umfeld – insbesondere den Angehörigen.
Eine der größten Herausforderungen: die extrem hohe Abbruchrate in der Psychotherapie bei Alkoholikern. Aber woran liegt das? Und was kann helfen,
diesen Kreislauf zu durchbrechen?
🧠 Warum brechen so viele Alkoholiker ihre Therapie ab?
Alkoholabhängigkeit ist weit mehr als nur ein „schlechtes Verhalten“ oder ein Mangel an Willenskraft. Sie ist eine komplexe, tief verwurzelte Bewältigungsstrategie – oft verbunden mit:
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innerer Anspannung und hohem psychischem Druck
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ungelösten Traumata und alten Verletzungen
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Scham, Schuldgefühlen und Selbstverurteilung
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Angst vor Kontrollverlust oder Veränderung
In der Therapie werden diese Themen behutsam aufgedeckt. Doch genau das kann überwältigend sein. Viele Betroffene brechen in dem Moment ab, in dem es eigentlich beginnen würde, wirklich wirksam zu werden.
📉 Die zwei Hauptgründe für Therapieabbrüche bei Alkoholismus
1. Der innere Schmerz wird zu groß
Sich ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen, tut weh. Alte Wunden, verdrängte Erinnerungen und emotionale Schutzmechanismen treten ans Licht – und mit ihnen oft Gefühle wie:
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Hilflosigkeit
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Ohnmacht
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Kontrollverlust
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Selbsthass
Ohne gute therapeutische Begleitung wird dieser Prozess schnell zu viel. Die Vermeidung durch Alkohol wirkt plötzlich wieder attraktiver als die Konfrontation.
2. Das „Therapiehoch“ macht leichtsinnig
Ein häufiges Phänomen: Nach den ersten Sitzungen fühlen sich viele besser. Sie erleben Entlastung, neue Klarheit, Zuversicht. Und genau hier liegt eine Gefahr:
„Mir geht's doch schon wieder gut. Ich brauche die Therapie nicht mehr.“
Doch sobald die ersten Rückschläge kommen – etwa durch Stress, Einsamkeit oder ein emotionaler Trigger – fällt der Betroffene oft härter zurück als zuvor.
Ohne Stabilisierung und Integration bleibt der Erfolg brüchig.
🔥 Der wahre Kern: Alkohol als Ventil für inneren Druck
Viele Alkoholiker trinken nicht, weil sie „feiern“ wollen – sondern weil sie innerlich unter Druck stehen.
Dieser Druck kann entstehen durch:
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ungelöste Kindheitserfahrungen
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toxische Beziehungen
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berufliche Überforderung
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emotionale Leere oder Einsamkeit
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überhöhte Erwartungen an sich selbst
Alkohol ist oft kein Genussmittel – sondern eine Notlösung. Eine Möglichkeit, innere Spannung kurzfristig zu regulieren.
In der Therapie geht es darum, diesen inneren Druck neu zu verstehen – und Wege zu finden, ihn anders zu bewältigen.
Doch dieser Prozess braucht Zeit, Halt und Raum – nicht Tempo und Druck.
🚨 Warum Angehörige oft (unbewusst) zum Problem werden
Viele Angehörige wollen helfen. Und das ist gut.
Doch Hilfe wird schnell zu Druck, wenn sie so klingt:
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„Du musst doch nur wollen.“
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„Reiß dich endlich zusammen.“
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„Denk an deine Familie!“
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„Wenn du mich liebst, hörst du auf.“
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„Mach die Therapie gefälligst zu Ende.“
Für einen Menschen mit Suchtthematik klingt das nicht nach Unterstützung, sondern nach Überforderung.
Denn genau dieser Druck – der Druck, funktionieren zu müssen – ist oft Teil des Problems, nicht der Lösung.
❤️ Was Alkoholiker stattdessen brauchen: ein anderes Umfeld
Was Menschen in Therapie wirklich hilft, ist nicht Kontrolle, sondern Beziehungsstabilität.
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„Ich bin da – auch wenn du scheiterst.“
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„Du bist mehr als deine Sucht.“
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„Ich sehe, dass es dir schwerfällt – und ich bewerte dich nicht.“
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„Ich weiß, dass du kämpfen musst – und ich dränge dich nicht.“
Empathie, Geduld und bedingungslose Zuwendung sind oft wirksamer als jedes Ultimatum.
Angehörige müssen lernen, nicht Co-Therapeuten zu werden, sondern emotional erreichbare Menschen zu bleiben. Das ist schwer – aber möglich.
🧭 Was können Betroffene und Angehörige konkret tun?
Für Betroffene:
✅ Erkenne: Dein Rückfallwunsch ist kein Versagen – sondern ein Signal, dass du Unterstützung brauchst
✅ Bleib dran – auch wenn es weh tut
✅ Suche dir Therapeuten, die dich wirklich verstehen – nicht nur funktional behandeln
✅ Sprich über das, was dich wirklich belastet – nicht nur über Alkohol
Für Angehörige:
✅ Informiere dich über Suchtpsychologie – nicht jeder Rückfall ist eine „Absage“
✅ Schaffe emotionale Sicherheit statt Erwartungen
✅ Hole dir selbst Hilfe, z. B. in Angehörigengruppen
✅ Akzeptiere deine Grenzen – du kannst nicht für den anderen nüchtern bleiben
✨ Auf einen Blick: Psychologische Hintergründe von Therapieabbrüchen bei Alkoholikern
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Therapieabbrüche sind oft Reaktionen auf Überforderung, nicht Desinteresse
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Alkohol dient oft der Emotionsregulation – nicht der Zerstörung
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Angehöriger Druck kann Rückfälle fördern statt verhindern
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Therapie braucht Geduld, Begleitung & Raum für Rückschläge
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Heilung beginnt dort, wo Verständnis echte Veränderung ermöglicht
🔚 Fazit: Heilung braucht Beziehung, nicht Bedrohung
Die Therapie von Alkoholabhängigkeit ist ein sensibler, manchmal schmerzhafter Prozess – für beide Seiten.
Doch wer sich diesen Themen mit Geduld, Offenheit und Tiefe stellt, kann einen neuen Weg gehen – frei vom Zwang, sich ständig selbst betäuben zu müssen.
Druck führt oft zu Rückzug. Verständnis öffnet Türen.
Wenn du selbst betroffen bist – oder einen nahestehenden Menschen begleiten willst – braucht es mehr als gute Ratschläge.
Es braucht Beziehung, die hält – und professionelle Begleitung, die nicht wertet.
📩 Du möchtest diesen Weg nicht alleine gehen?
In meiner Praxis begleite ich Menschen mit Suchtthemen, emotionalem Druck und chronischer Überforderung – therapeutisch, tiefenpsychologisch und ohne Urteil.
Auch Angehörige finden bei mir Raum, ihre Ohnmacht, Wut oder Angst zu verarbeiten.
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